Der Ritter, der zur Garnele wurde
In China sieht man immer wieder Wäsche auf der Strasse hängen. Von T-Shirts, über Pullover, Kleidern bis hin zu Unterwäsche. Alles ganz normal.
Und auch rote Kleidung und Unterwäsche ist keine Seltenheit, schliesslich liebt man die Farbe rot in China und trägt auch zu bestimmten Anlässen immer wieder mal rote Unterwäsche.
Wenn allerdings vor dem gleichen Fenster tagein, tagaus ein rotes Kleid und rote Unterwäsche hängt (siehe Bild), dann ist das doch schon etwas besonderes.
Die Wahrscheinlichkeit, dass die Besitzerin jeden Tag ihre roten Sachen wäscht und zum trocknen raushängt ist doch sehr gering.
Ich denke, dass ich mich nicht all zu weit aus dem Fenster lehne, wenn ich behaupte: „Das könnte eine versteckte Botschaft sein“ (Ich denke, dass hier Serviceleistungen angeboten werden, die in China nicht legal sind). Aber das ist nur eine Vermutung meinerseits.
Aber wenn wir schon bei geheimen Botschaften sind: Tatsächlich bekannt ist, dass es im Internet und besonders in chinesischen Chaträumen nicht nur versteckte Botschaften, sondern inzwischen sogar eine ganze Geheimsprache gibt.
Wobei geheim wieder mal so eine Sache ist. Viele der Begriffe kann man inzwischen über eine Suchmaschine finden, andere dagegen sind wirklich nur für Eingeweihte verständlich.
Aber fangen wir einmal von vorne an: Wenn man sich als Ausländer in einem chinesischen Chat anmeldet ist die Chance etwas von den Konversationen zu verstehen gleich null.
Selbst für chinesische Muttersprachler ist das oft nicht einfach, denn in China hat sich eine eigene Internetsprache entwickelt, die chinesische, englische und zahlenbasierte Sprache und Abkürzungen nutzt.
So spricht man sich mit GG bzw. MM an. GG kommt von chinesisch 哥哥 (gē ge) und bedeutet älterer Bruder.
Freundschaftlich redet man sich so in China auf der Strasse unter Freunden an, wobei auch hier noch ein Hauch Respekt vorhanden ist, schliesslich spricht man den Gegenüber als älteren Bruder an, nicht als jüngeren.
MM ist das weibliche Pendant dazu. Es kommt von chinesisch 妹妹 (mèi mei) und bedeutet jüngere Schwester. Denn auch in China ist es höflich, wenn man das junge Aussehen einer Frau betont.
Weitere chinesische Abkürzungen sind zum Beispiel PMP, was für 拍马屁 (pāi mǎ pì) steht. Wörtlich übersetzt heisst es „einen Pferdehintern tätscheln“. Diese Redewendung kommt noch aus der Yuan-Dynastie (元朝 yuán cháo) und geht auf einen alten Brauch zurück:
Wenn man einen Mann auf einem Pferd sah, klopfte man dem Pferd auf das Hinterteil, um die körperliche Konstitution zu prüfen und den Reiter für sein prächtiges Pferd zu loben.
Heute ist der Begriff gleichbedeutend mit „sich bei jemandem einschleimen“, ebenso wie der neue Ausdruck PMP.
GF dagegen kommt aus dem Englischen und bedeutet „girlfriend“, also Freundin.
Aber auch gemischte Ausdrücke aus Chinesisch und Englisch gibt es. Zum Beispiel A片 (a-piàn).
片 (piàn) ist ein sogenanntes Zähleinheitswort, das bei Aufzählungen verwendet wird.
片 (piàn) wird im Zusammenhang mit scheibenförmigen Dingen verwendet, also auch Filmen (auf Grund der Filmrolle).
„Ein Film“ heisst im chinesischen 一片电影 (yī piàn diàn yǐng). 一 (yī) bedeutet „ein“, 片 (piàn) ist das Zähleinheitswort und 电影 (diàn yǐng) bedeutet Film.
Man hat also das Zähleinheitswort für Film genommen und ein „A“ für „Adult“ vorangstellt. A片 (a-piàn) bedeutet also „Erwachsenenfilm“ (Sie wissen schon... )
Viele Dinge werden vereinfacht, so wird aus 不知道 (bù zhī dào), was „weiss nicht“ bedeutet, schon mal 不造 (bù zào).
造 (zào) bedeutet ursprünglich anfertigen oder herstellen. Man muss also wissen, dass die eigentliche Bedeutung hier ausser Acht gelassen wird und sich die neue Bedeutung einfach nur an einer Vereinfachung der Aussprache festgemacht ist.
Ebenfalls interessant sind Zahlen, die immer wieder verwendet werden. 886 ist so ein Beispiel. Viele Chinesen verlassen so ihre Chatgruppe.
88 (im chinesischen bā bā ausgesprochen) klingt ähnlich dem englischen bye, bye, was wiederum als 拜拜 (bài bài) in die chinesische Alltagssprache Einzug gehalten hat. Die ursprüngliche Bedeutung des Zeichens 拜 (bài) ist eigentlich „sich vor jemandem niederwerfen“.
Die 6 (im chinesischen 六 liù) in 886 wird ebenso ausgesprochen wie 遛 (liù) und bedeutet in diesem Zusammenhang „weggehen“.
Eine weitere interessante Zahlenkombination ist 555. Die Zahl fünf (五 wǔ) wird im chinesischen ähnlich ausgesprochen wie 呜 (wū), was einen Vogellaut beschreibt. Jedoch hört sich 呜呜呜 (wū wū wū) dann doch tatsächlich so an, wie jemand der weint. Somit ist 555 gleichbedeutend mit einem weinenden Emoticon.
Ebenfalls interessant ist die Zahlenkombination 7451 (七四五一 qī sì wǔ yī) bzw. 7456 (七四五六 qī sì wǔ liù). Diese repräsentieren den Ausdruck 气死我了 (qì sǐ wǒ le) und der bedeutet „ich bin wütend“. Man kann eine dieser Zahlenkombinationen ebenfalls anstatt eines wütenden Emoticons verwenden.
Andere Wortschöpfungen sind einfach den chinesischen Eingabemethoden geschuldet.
Eine der bekanntesten Eingabemethoden für chinesische Schriftzeichen in Computersysteme ist die Pinyin Eingabemethode.
Aufbauend auf Pinyin (拼音 pīn yīn), der 1957 eingeführten phonetischen Umschrift, die Chinesische Zeichen mit Hilfe des lateinischen Alphabets darstellt.
Aus ihr ist das Eingabesystem entwickelt worden, mit dem man einfach den phonetischen Laut eines Wortes eingibt und dann eine Liste an chinesischen Zeichen bekommt, die diesem entsprechen.
Da viele Zeichenfolgen von chinesischen Zeichen zwar unterschiedlich geschrieben werden, aber die gleiche phonetische Umschrift besitzen, bekommt man zu fast jedem Begriff mehrere Auswahlmöglichkeiten.
Im chinesischen bezeichnet man mit dem Ausdruck Ritter (大侠 dà xiá) jemanden, der sich mit Computern oder dem Internet auskennt.
Wenn man jedoch „da xia“ in der Pinyin Eingabemethode eintippt, werden einem sämtliche Ausdrücke, die „da xia“ ausgesprochen werden auf Grund der Häufigkeit ihrer Benutzung absteigend dargestellt.
Als erstes erscheint hier also 大虾 (dà xiā). Und das bedeutet übersetzt Garnele, Krabbe.
Der Einfachheit halber, weil es sich wesentlich schneller tippen lässt, ist aus dem Ritter also eine Garnele geworden. Muss man wissen, sonst macht der Schriftverkehr im Internet überhaupt keinen Sinn.
Dies sind alles noch recht bekannte Beispiele und auch nur ein paar, es gibt aber viel, viel mehr.
Einer 2003 veröffentlichten Studie zur Folge, gab es damals bereits über 2000 neue Ausdrücke und es sind kontinuierlich mehr geworden.
Somit gleichen einige dieser Wörter bereits einer Geheimsprache mit der sich viele interessante Dinge anstellen lassen. So kann man neben anderem auch Internet Zensur umgehen. So lange, bis die öffentlichen Zensurstellen die neuen Ausdrücke auch kennen, dann muss man sich wieder etwas neues einfallen lassen.