Vom Tellerwäscher zum Millionär
Wenn Sie in einem gehobenen Restaurant das mit Zironenspalt und Rosenblüte dekorierte Wasser trinken, werden die umliegenden Tischnachbarn Sie entgeistert angucken, oder verschämt in ihre Serviette schmunzeln.
Sie haben so eben die Fingerschale leergetrunken die, wie es der Name bereits vermuten lässt, zum waschen der Finger gedacht ist.
Wenn man eine Sitte nicht kennt, kann man sich schnell zum Gespött der Leute machen.
Ähnliches kann Ihnen selbstverständlich auch in China passieren.
Wenn Sie in einem Restaurant eine Kanne Tee auf den Tisch gestellt bekommen, dann ist diese in der Regel dafür da getrunken zu werden. Meistens handelt es sich hier um eine Aufmerksamkeit des Restaurants und ist umsonst (selbst, wenn man nachbestellt).
Je nachdem, wo man sich befindet bekommt man unterschiedliche Teesorten oder auch Teemixe angeboten.
Manchmal handelt es sich auch um Wasser (in der Regel heiss) oder andere Aufgussgetränke.
Sollten Sie zu der Kanne Tee allerdings eine grosse Schale gereicht bekommen, dann handelt es sich meist um eine alte chinesische Tradition.
Trinken Sie diesen Tee nicht, sonst erhalten Sie gleichen Reaktionen, wie jemand, der durstig die Fingerschale in einem westlichen Restaurant leert.
Dieser Tee ist nicht zum trinken gedacht, mit ihm wird das Geschirr am Tisch gespült.
Es hat sich bei vielen Chinesen eingebürgert, erst das Geschirr im Restaurant am Tisch zu spülen bevor man es benutzt.
Dazu bestellt man heisses Wasser oder auch Tee, wenn man es nicht ohnehin direkt auf den Tisch gestellt bekommt.
Diese Gewohnheit ist im Süden Chinas zwar wesentlich ausgeprägter als im Norden, aber trotzdem kann man es hier auch immer wieder sehen.
Es sieht erst einmal so aus, als traue man dem Personal nicht über den Weg, allerdings wird diese Zeremonie auch oft durchgeführt, wenn die Schüsseln, Teller und Gläser, wie in vielen Restaurants üblich, von professionellen Unternehmen gereinigt, desinfiziert und in Plastikfolie verpackt wieder zurückgeliefert und auf den Tischen verteilt wurden.
In anderen Restaurants kann man auch Desinfektionsschränke für das Geschirr sehen, in die das gespülte Geschirr noch nass gestellt wird.
Sie erinnern an einen Kühlschrank mit Glastüre, so wie sie in kleinen Geschäften oder Kiosken stehen.
In ihnen wird das Geschirr erwärmt, dadurch auch getrocknet und teilweise sogar UV- und Ozon-behandelt. Hier lagern all die Schüsselchen und Teller bis man sie wieder braucht. Sie werden also auch als Abstellgelegenheit verwendet.
Selbst in einigen privaten Haushalten findet man sie. Man trocknet in China Geschirr grundsätzlich nicht ab. Man lässt es auf einem Gestell trocknen oder stellt es in einen der beschriebenen Desinfektionsschränke, weshalb es auch nicht einfach ist, Geschirrspültücher in China zu kaufen (man muss schon zu IKEA gehen um tatsächlich eins zu bekommen).
Das Geschirr ist also in der Regel gesäubert und es ist gar nicht nötig es am Tisch noch einmal zu spülen.
Und wenn man die Wasserqualität in Städten wie Beijing bedenkt, bewirkt man damit genau genommen das Gegenteil von dem, was man eigentlich wollte.
Aus den Wasserhähnen in Chinas Hauptstadt fliesst leider kein Trinkwasser. Wenn man ein Glas abfüllt und ein paar Minuten stehen lässt, kann man mitverfolgen, wie eine grosse Anzahl an bräunlichen Partikeln zu Boden sinkt und sich dort absetzt.
Und das sind bloss die Dinge, die man sieht. Chinas Flüsse sind dermassen verunreinigt, dass niemand mehr Fische aus ihnen essen will. Die Fische im Restaurant sind in der Regel in grossen Anlagen gezüchtete Süsswasserfische.
Auch wir benutzen das Wasser aus der Leitung nur zum duschen und putzen. Für alles andere, wie trinken, kochen oder auch Zähne putzen, benutzen wir gekauftes, stilles Wasser.
Dass das Wasser in Chinas Haushalten und Restaurants eine Ansammlung von Dreck, chemischen Reststoffen und anderem unschönen Zeug ist, darüber sind sich viele Chinesen absolut im Klaren.
Das Geschirr damit abzuspülen bedeutet eigentlich bloss, es mit Keimen zu überziehen.
Der Tellerwäscher hat also eine Kanne Wasser mit etlichen Millionen Keimen, die er grosszügig, wie ein Millionär in seiner Position nun mal ist, an die andern Gäste weitergibt.
Und da kommen wir dann schon zum Tee: Er soll angeblich eine desinfizierende Wirkung haben, somit ist es dann angeblich wieder in Ordnung das Wasser aus dem Hahn zu benutzen um sein Geschirr damit zu spülen.
Dieser Glaube ist weit verbreitet (vor allen Dingen bei älteren Leuten und auf dem Land) und wer nicht daran glaubt, der nimmt es einfach hin. Es ist halt so etwas wie eine Tradition.
Aber darüber hinaus hat dieses Ritual noch andere Hintergründe. Man kann damit zeigen, dass man der Gastgeber ist und für seine Gäste sorgt.
Oft ist es so, dass man sich in China um die Rechnung streitet. Jeder will bezahlen (hatte ich im Artikel Wer zahlt denn jetzt ? schon einmal angesprochen).
Wenn man direkt vor dem Essen bereits die Aufgabe des Tellerwaschens übernimmt, stellt man gleich klar: „Ich bin der Gastgeber“ und so erwirbt man sich auch hier wieder ein kleines wenig Ansehen.
Es hat nicht unbedingt immer etwas mit der Reinlichkeit zu tun.