Lauscher aufgestellt
Wenn man durch Chinas Strassen läuft, fällt einem immer wieder auf, dass überall Ohren sind. Weiche, puschelige mal spitz zulaufende, mal runde und hängende Schlappohren.
Im Menschengedränge huschen sie ständig an einem vorbei und man fühlt sich fast schon wie auf einer Safari.
Nicht nur an den Kapuzen von Kinderkleidung, sondern auch an denen von etlichen jungen Frauen und sogar Männern sind sie angebracht.
Gerade für Kinder fällt es dieser Tage schwer überhaupt Anziehsachen zu kaufen ohne dieses Accessoire.
Es gibt Katzen- oder Mausohren an Kapuzen, auf Mützen, auf Haarreifen und am Handy. Riesengrosse Hasenohren die aus der Schutzhülle des Mobiltelefons ragen und teilweise grösser sind als das Gerät selber. Hin und wieder sind sogar Autos mit Ohren ausgestattet.
Für einen Europäer mutet das erst einmal seltsam, vielleicht sogar etwas naiv an, aber wir sind ja hier um etwas genauer hinzuschauen:
Und tatsächlich gibt es diesen Trend in ganz Asien schon seit geraumer Zeit. Es ist eigentlich nur ein weiterer Auswuchs einer Bewegung, die alles (aber auch wirklich alles) verniedlichen will.
Viele glauben, dass der Ursprungs dieses Trends in Japan liegt, aber das ist nicht hundertprozentig geklärt.
Fest steht auf jeden Fall, dass dieses Phänomen in Japan inzwischen enorme Ausmasse angenommen hat.
In Japan nennt man es Kawaii (可愛い oder かわいい), im chinesischen entsprechend 可爱 (kě ài), was so viel wie liebenswert, knuddelig, süss, reizend etc. bedeutet. In Japan hat man einfach noch ein „i“ bzw. „い“ dahintergehangen, um es als eigenen Trend zu deklarieren.
Wie gesagt, die Ohren an Kleidung und jeder Menge Accessoires sind nur ein kleiner Teil des Phänomens.
Kawaii (可愛い oder かわいい) ist ein Genre, das so seltsame Dinge hat entstehen lassen wie Babymetal, eine Band junger, japanischer Mädchen, die meist in Schuluniform zu Metal Musik singen.
Und die Schuluniformen haben noch in ganz andere Gebiete Einzug gehalten. So gibt es die Maid-Cafes (ursprünglich aus Japan, inzwischen gibt es aber auch in Beijing eins), in denen Mädchen in Schuluniformen die Gäste bedienen und natürlich auch etliche Pornoproduktionen aus Fernost.
Wobei letztere in China nicht vorkommen, da erstens Pornografie illegal ist und zweites die Schülerinnen und Schüler in China als Schuluniform alle durchweg Trainingsanzüge tragen.
Meist in einer Einheitsgrösse. Sie sind also entweder zu gross oder zu klein. Chinesische Schüler erinnern irgendwie immer an einen bunt bedruckten Sack Kartoffeln.
Ein weiteres Phänomen sind Anime Charaktere, die sich überall im täglichen Strassenbild wiederfinden.
In asiatischen Ländern werden oft offizielle Plakate oder Schilder mit zeichentrickähnlichen Figuren versehen um die Aufmerksamkeit der Leute zu gewinnen.
Auch, oder gerade jene Plakate oder Schilder die im Zusammenhang mit Polizei oder Militär stehen werden gerne verniedlicht. Das ist definitiv etwas, was man aus unseren Breitengraden so nicht kennt.
Werbung fürs Militär stellt bei uns immer den heroischen, maskulinen Charakter heraus und Plakate, die Benimmregeln in öffentlichen Gebäuden beschreiben, werden definitiv auch nicht mit grossäugigen Polizeimännchen versehen. In China und anderen asiatischen Staaten schon. Das ist hier kein Wiederspruch.
In Beijings U-Bahn läuft regelmässig ein Video, das auf die Gefahren von kriminellen Machenschaften hinweisen soll mit dem Ziel, dass der besonnene Bürger abnormales Verhalten direkt bei den Behörden meldet.
Dabei werden Zeichentrick Charaktere verwendet, die auf den ersten Blick erst einmal nett anzusehen sind.
Die Polizei in voller Schutzmontur und natürlich mit grossen Köpfen und überdimensionalen Augen und die bösen Jungs mit Sonnenbrillen, Drei-Tage-Bart und Stirnbändern.
Wenn sie dann aber anfangen Banken auszurauben, Geiseln zu erschiessen, unter deren leblosen Körpern sich eine Blutlache bildet und ein Terrorist per Kopfschuss auf seinem Geländewagen von der Polizei ausgeschaltet wird, bekommt das ganze doch ein ziemlich eigenes Flair. Ich sage mal: Es ist auf jeden Fall interessant (erinnert mich ein wenig an den Film „Meet the Feebles“).
Die Verniedlichung hat also nicht bloss in die Privathaushalte Einzug gehalten, sondern auch in öffentlichen Behörden, bei der Polizei und überall dort, wo man es eigentlich nicht vermuten würde.
Ist es anfangs seltsam, weil man es in solchen Ausmassen noch nicht gesehen hat, gewöhnt man sich doch schnell daran und es fällt einem mit der Zeit gar nicht mehr auf.