We want an empty sound

Allen Leuten, die in der Ecke eines fensterlosen Raums schon mal die Wahrheit gefunden haben, wird der Satz „We want an empty sound“ eventuell bekannt vorkommen. Mich hat er eine lange Zeit meines Lebens begleitet.
Er stammt aus einem Interview mit der Band Joy Division und spiegelt in sehr beschreibender Weise wider, was mich damals so an deren Musik fasziniert hat.
Zur der Zeit meiner musikalischen Selbstfindung haben sie es, wie keine andere Band verstanden mit einer klassischen Rock Instrumentierung aus Schlagzeug, Gitarre, Bass und Gesang etwas sphärisches und völlig neues zu erschaffen.
Für mich war der Sound dieser Band damals der Ausschlag gebende Punkt mit einem Freund selber eine Band zu gründen. Sie waren lange Zeit meine persönliche Nummer eins.
Obwohl ich mir heutzutage wünschen würde, Ian Curtis hätte richtig singen können, einfach etwas mehr musikalisches Gefühl gehabt.
Tja, wenn man älter wird, wird man, wenn schon nicht weise, dann aber doch abgebrühter. Die Helden aus der Jugend sind dann auch nicht mehr heilig.
Beim älter werden bemerkt man ausserdem viele Dinge, die man früher, mangels Erfahrung, noch nicht erfasst hat.
Man muss sich zum Beispiel nicht unbedingt mit Freunden treffen und besaufen, um die Nächte durchzumachen. Das geht, unter anderem wenn man ein kleines Kind hat, von ganz alleine.
Wie oft bin ich schon in Pantoffeln mit einem sich windenden Bündel Lebensfreude durch die Wohnung geschlurft und habe „Space oddity“ gesungen ? (Mir ist aufgefallen, dass sich einige Stücke von David Bowie hervorragend dazu eignen den Nachwuchs in den Schlaf zu singen.)
Aber was hat das jetzt wieder alles mit China zu tun ? Nun, da wir gerade wieder bei Musik sind, möchte ich gerne die chinesische Musiklandschaft etwas unter die Lupe nehmen.
Es gibt einen unüberschaubaren Markt an Pop Musik, wie man sie auch bei uns kennt, klassischer chinesischer Musik und einem Mix aus beidem (chinesische Schlager Musik, wenn man so will).
All das kann man grob als chinesische Pop Musik zusammenfassen.
Dagegen gibt es nur einen verschwindend geringen Markt an Independent Musik aller möglichen Stile.
Also, um es in die richtige Perspektive zu setzen: Es gibt natürlich auch im Reich der Mitte gut produzierte alternative Musik, allerdings nicht in den Geschäften.
Man kann die Bands live auf einem Konzert sehen, bekommt ihre Tonträger aber bestenfalls in kleinen, versteckten Miniläden zu kaufen.
Falls es überhaupt welche gibt. Bereits vor Napster haben sich die Medien für Musik ja bereits von Platte und CD hin zu reinen Datenformaten wie MP3 entwickelt.
Napster hat dann nur noch zum Todesstoss angesetzt. Eine Entwicklung der sich alle grossen Musikproduzenten überheblicherweise verweigert haben. Jetzt ist das Gejammer natürlich gross.
Aber zurück zu den kleinen Bands: Oft muss man auch jemanden aus der Band oder deren Umfeld kennen um an deren Musik zu kommen.
Sie sehen: hier bedeutet independent tatsächlich noch unabhängig. Unabhängig von so ziemlich allem.
Somit sind viele dieser Bands auch nur lokal bekannt. Eine Band, die in Shanghai Abend für Abend die Konzerthalle füllt, kann in Beijing völlig unbekannt sein.
Ein paar wenige Ausnahmen gibt es natürlich. Allerdings handelt es sich hier meist bloss um Kopien von westlichen Musikproduktionen, die einen grossen Bekanntheitsgrad haben und somit eigentlich auch zur Pop Musik zählen.
Wie gesagt: Es ist nicht so, dass es keine gute selbstgemachte und kreative Musik in China gäbe, es ist nur so, dass man danach suchen muss. Die Pop Musik dagegen ist, wie in allen Ländern dieser Welt, durchorganisiert und in der Hand einiger weniger Grosskonzerne.
Ein grosser Teil der bekannten Musikproduktionen kommt aus Taiwan, in letzter Zeit holen kontinentale chinesische Produktionen aber auf.
Wobei man jetzt aber auch nicht alles gleich von vorne herein ablehnen muss. Es gibt durchaus interessante Stücke auch von sehr bekannten Interpreten wie 王菲 (wáng fēi) oder 萨顶顶 (sà dǐng dǐng).

Der durchschnittliche Musikgeschmack in China unterscheidet sich eh etwas vom Geschmack in westlichen Ländern.
Der Hang geht hier eher zu langsamen, balladenhaften, oft schon schnulzigen Stücken, die gerne auch mal von Heimat und Liebe handeln.
Dagegen finden sich derbe Rap, Punk oder Rockstücke eher selten unter den bevorzugten Liedern.
Allerdings muss man diesen Trend natürlich auch wieder in den entsprechenden Kontext setzten: Auch in Deutschland gibt es einen vergleichsweise grossen Markt an Schlagermusik oder anderen Musikstilen, es ist nicht alles Rock.
Aber trotzdem fällt auf, dass Musik, die auch gerne mal mit Rebellentum (in der Jugend oder auch grundsätzlich) in Verbindung gebracht wird, in China äusserst selten ist.
Das spiegelt auch den Eindruck wider, den man im täglichen Leben gewinnt. Die Leute sind gelassener, es gibt wesentlich weniger Pöbeleien, Streits und Auseinandersetzungen und auch was das Aufbegehren gegen die Obrigkeit angeht (sei es die Familie, die Schule oder die Gesetzgeber) ist man hier weniger kampfbereit als es in Europa der Fall ist.
Meine Schwiegereltern würden jetzt sagen: „das liegt daran, weil Ihr so viel Fleisch esst“. Wer weiss, vielleicht haben sie recht.
Wir alle wissen (spätestens seit dem Film „breakfast club“), dass amerikanische Schüler sich gruppieren, je nachdem ob sie zu den Sportkanonen gehören, ein Nerd sind oder einfach das Kind reicher Eltern.
So weit geht es in Deutschland glücklicherweise nicht, allerdings grenzt man sich hier musikalisch ab. Und zu der Musik gehört dann nicht selten eine ganze Jugendkultur, die Mode, Ansichtsweisen etc. bestimmt.
Erst später, wenn man etwas älter wird, lösen sich die meisten von diesen imaginären Grenzen.
Subkultur oder Jugendkultur mit ihren unterschiedlichen Ausprägungen sucht man in China vergebens und das ist dann wahrscheinlich auch der Hauptgrund, weshalb es keine richtige independent Kultur in der Musikszene gibt.
Oder zumindest ist sie so verwindend klein, dass die meisten Leute noch nie von ihr gehört haben.
Es gibt aber ein paar importierte Genres, wie Metal Musik, Hip Hop und andere, die ein wenig bekannter sind, aber trotzdem nicht so ganz in das Bild der sonstigen Musiklandschaft passen wollen.
Ich persönlich zähle Hip-Hop auch zur Pop Musik, aber in China ist es ein Genre, das relativ neu und unverbraucht ist.
Eine Plattform, die am ehesten eine Musikbewegung widerspiegelt, die man mit der Rockmusik zu meiner Jugendzeit vergleichen könnte.
Noch bis vor kurzem gab es eine beliebte Fernsehshow, in der sich junge Leute Sprachgesang Gefechte geliefert haben. Meist in chinesisch. Sehr interessant.
Diese ist jetzt aber abgesetzt worden. Ich glaube der offizielle Grund war die zu vulgäre Ausdrucksweise, zu der dieser Musikstil angeblich verleitet.
Somit können wir Hip Hop in China jetzt wohl auch wieder zu den Independent Stilen zählen.
Um aber am Ende dann doch noch zu einem Fazit zu kommen bleibt folgendes festzuhalten: Es gibt auch in China immer wieder kleine Bands, die einen musikalisch absolut aus den Socken hauen, man muss sich aber die Mühe machen nach ihnen zu suchen. Man kann sie nicht, wie aus unseren Breitengraden gewohnt, einfach konsumieren.
Für jemanden, der einen ausgefüllten Terminplan hat, ist das leider ein grosses Hindernis und viel gute Musik wird für ihn ungehört verklingen.
Die Musik, die hingegen allgegenwärtig ist ist die populäre Musik, so wie überall sonst auf der Welt auch.
Und sie ist präzise produziert, in teuren Studios und mit dem musikalischen Hintergrundwissen etlicher Generationen.
Doch obwohl der Klang mit allen möglichen stilistischen und elektronischen Mitteln aufgepeppt und abgerundet wurde, sind es doch alles bloss Konserven, die auf Grund ihres Hitpotentials zusammengemischt wurden, keine Innovationen.
Wenn man es so betrachtet, repräsentiert eigentlich die Popmusik den leeren Sound.