Hirn in Scheiben
Ich berichte ja immer wieder gerne über eine Speise in China genannt 夫妻肺片 (fū qī fèi piàn).
Das hat mehrere Gründe: Zum einen esse ich sie liebend gern, ausserdem ist es ein gängiges Gericht in chinesischen Restaurants und damit ein guter Indikator für die Qualität der Küche.
Und es macht Spass darüber zu berichten, da es sich um Innereien handelt und deshalb nicht unbedingt den Europäischen Einheitsgeschmack trifft.
Und zu guter Letzt wegen des Namens, der in Speisekarten oft wörtlich übersetzt wird und dann „Lungenscheiben vom Ehepaar“ heisst.
Heute nehmen wir ihn einfach mal um zu verdeutlichen, nach welchen Regeln man in China Gerichte benennt.
Ausnahmen bestätigen natürlich wie immer die Regel, aber die meisten Gerichte enthalten die Hauptzutat im Namen. In diesem Fall 肺 (fèi), die Lunge.
Dann entweder die Art der Zubereitung (grillen, garen, kochen etc.) oder die Form. In unserem Fall 片 (piàn), also in Scheiben.
Und dann in den meisten Fällen noch ein Ort, wo die Speise ihren Ursprung hat, oder eben wie in unserem Fall ein anderer Name: 夫妻 (fū qī), das Ehepaar. Gemeint ist hier die Paarung von Lungen- und Fleisch-, oft auch Zungenscheiben, die eben harmonisch zusammenpassen, wie ein Ehepaar (Die klassische Sichtweise auf das Eheleben ist die eines harmonischen Zusammenseins, auch wenn einige Betroffene andere Erfahrungen gemacht haben mögen. ).
Gerichte in Scheiben gibt es unzählige in China. Und meist sind sie auch entsprechend benannt.
Was mir bis jetzt noch nicht untergekommen ist, ist Gehirn in Scheiben (das mag vielleicht an der Konsistenz liegen...?).
Dabei gibt es auch eine Vielzahl an Gerichten mit Hirn. Schwimmend in der Suppe, mit Sosse auf einem Teller oder auch noch im Schädel eines Hasen zum Beispiel. Eine Spezialität in China: Hasenkopf mit scharfer Sosse.
Erst knabbert man alles, was fleisch- oder hautähnlich ist vom Knochen, dann löst man den Unterkiefer ab und isst das zarte Fleisch der Wangen, um dann zum Finale den Schädel aufzubrechen und das Gehirn heraus zu saugen.
Da können die meisten meiner Landsleute wieder nichts mit anfangen, ist aber tatsächlich lecker.
Jetzt werden sie sich sicher fragen, warum der Titel des heutigen Artikels ausgerechnet „Hirn in Scheiben“ heisst, wenn es solch ein Gericht nicht einmal gibt.
Nun, es handelt sich eben nicht um eine chinesische Speise, sondern um mein Gehirn. Aber fangen wir von vorne an:
Vor kurzem war ich im Krankenhaus, wie Sie aus Artikel Hippokrates und Charybdis ja bereits wissen. Diese Woche war ich dann bei der Nachuntersuchung.
Ich dachte eigentlich, dass ich schnell hinfahre, die Untersuchungen machen lasse und spätestens ein paar Stunden später wieder auf der Arbeit bin. Schliesslich hatte ich ja bereits einen Termin.
Aber da bin ich natürlich wieder von deutschen Standards ausgegangen, nicht von chinesischen.
Man bekommt einen Termin, zu dem man bestellt wird, um sich dann an dem selben Schalter, an dem man den Termin gemacht hat, noch einmal anzustellen, um eine Nummer zu bekommen. Erst mit ihr darf man dann warten, bis man aufgerufen wird.
Die Uhrzeit auf dem Zettel des Termins hat also überhaupt keine Bedeutung. Am besten kommt man ganz früh morgens und geht zu dem Schalter um sich eine Nummer zu ziehen, denn wenn man pünktlich zum Termin erscheint, geht die Schlange bereits einmal durch das Wartezimmer und durch die Korridore bis hin zum Getränkeautomaten.
Der erste Termin war der zur Computertomographie, entsprechend gross war auch der Andrang. Der erste Tag ging komplett für einen Scan meines Gehirns drauf. Am darauf folgenden Tag, konnte ich dann die restlichen Untersuchungen angehen.
Beim nächstem Mal weiss ich bescheid, dann werde ich mir ein paar Tupperboxen mitnehmen, um wenigstens nicht verhungern zu müssen.
Zuerst einmal bin ich ja froh, dass man in China so kurzfristig einen Termin für eine CT bekommt, aber sind wir mal ehrlich: Das System mit den Terminen ist ja an Unprofessionalität nicht mehr zu überbieten. Egal was man an diesem System ändert, es könnte nur eine Verbesserung sein. Nach unten ist kein Spielraum mehr.
Einen Termin machen, damit man zu diesem Termin einen Termin macht ? Was soll das ?
Und ich bin bei weitem nicht der einzige, der sich hierüber geärgert hat. Ausnahmslos jeder in der Schlange vor dem Schalter hat sich, teilweise sogar in nicht ganz sozial korrekter Art, bei den Krankenschwestern darüber ausgelassen.
Der Unmut war gross. Ich versuche es wieder unter dem Gesichtspunkt der inter-kulturellen Prüfungen zu verbuchen und mich nicht all zu sehr darüber aufzuregen.
Auf jeden Fall konnte ich mein Gehirn jetzt scheibenweise auf dem Bildschirm bestaunen. Irgendwie ziemlich unspektakulär, ich hätte mehr erwartet.
Da ist dieses Wunderwerk der Natur. Mein Denkapparat, der im grossen und ganzen mein Wesen ausmacht als grauer, unförmiger Flatschen, der irgendwie an die im Sommer durch die Hitze wieder weichgewordenen Kaugummis unter den Schulbänken meiner Jugend erinnert. Sieht nicht besonders interessant aus.
Da die Bilder mit Hilfe von Röntgenstrahlen entstanden sind, haben sie natürlich keine Farbe. Somit ist alles grau in grau.
In diesem Fall passt das natürlich ganz gut, da das Gehirn ja auch grau sein soll, wenn man es herausnähme. Na ja, immerhin.