Frühstück oder kotzen ?
Diese Frage stellen sich weltweit unzählige schwangere Frauen jeden Morgen auf’s neue.
Das ist weltweit gleich, ebenso wie das Gefühl des völlig deplatziert seins, wenn man als Mann auf der Entbindungsstation zwischen den fachsimpelnden Frauen sitzt und dazu verdammt ist zu warten und nichts zu tun.
Aber es gibt auch zu diesem Thema ein paar Unterschiede hier in China zu dem Gewohnten aus der Heimat.
In der Regel bekommen Ausländer, wenn sie in China Kinder bekommen, diese in einem der Privatkrankenhäuser.
Eines dieser völlig überteuerten Hospize, in denen man dann aber auch, zumindest teilweise, englisch sprechendes Personal erwarten kann.
Wir haben uns für den klassischen Weg entschieden und uns bei einem der öffentlichen Krankenhäuser angemeldet, schliesslich ist China eines der geburtenreichsten Länder überhaupt, man kann also davon ausgehen, dass die Ärzte wissen was sie tun.
Zugegeben, eines der besseren Krankenhäuser, denn auch hier gibt es teilweise gravierende Unterschiede.
Sich aber überhaupt erst einmal anmelden zu können, ist gar nicht so einfach.
Nachdem wir sicher waren, dass meine Frau schwanger ist, haben wir uns sofort auf den Weg gemacht und alle möglichen Krankenhäuser in Beijing abgeklappert.
Aber überall die gleiche Aussage: „Tut uns leid, wir sind schon ausgebucht“.
Was soll das denn bitteschön heissen ? Ich will ja keine Liege am hoteleigenen Strandpool mieten, sondern ein Kind zur Welt bringen.
Aber es ist nun mal, wie es ist. Da die Ein-Kind-Politik vor kurzem gelockert wurde und Chinesen jetzt zwei Kinder bekommen dürfen, sind die Krankenhäuser schon ausgebucht, bevor die Frauen überhaupt schwanger sind.
Allerdings sind Dinge nicht immer so, wie sie scheinen in China, wie ich jetzt schon des öfteren feststellen durfte.
Mit einem Bestechungsgeld von 1500 RMB (umgerechnet ca. 192 EUR) haben wir dann eine Untersuchung und somit auch einen Platz in einem guten Krankenhaus bekommen.
Wenn man es immer wieder mitbekommt, wofür man in China überall Schmiergeld zahlen muss, kann man versucht sein zu glauben, dass das schwarz verdiente Geld den Staatshaushalt um Längen übertrifft.
Wie auch immer. Wir hatten die erste Hürde genommen.
Man bekommt dann zwei Hefte, in die alle wichtigen Daten bei jeder der unzähligen Untersuchungen eingetragen werden.
Das erste (kleinere) bekommt man bei der zuständigen Stelle des Bezirks, in dem man laut 户口 hù kǒu (also Familienbuch) gemeldet ist, das andere (grössere) im Krankenhaus selbst, wenn man sich angemeldet hat.
Man sollte sie zusammen mit den unzähligen Zetteln und Quittungen zusammen aufheben, die man bekommt.
Und auch die EKGs und Ultraschallbilder sollten Sie hier unterbringen. Die Hefte müssen Sie übrigens nach der Geburt wieder abgeben.
Verlieren Sie um Himmels Willen niemals einen dieser Zettel, es wird sie Tage kosten, um alles wieder in Ordnung zu bringen.
Ultraschallbilder sind Schallwellen, die vom Computer umgerechnet werden zu Bildern.
Sie sind aus sogenannten Pixeln zusammengesetzt, also wie ein Ölgemälde, das aus Pinselstrichen besteht.
Je nachdem wie grob die Pixel (also die modernen Pinselstriche) sind, kann man mehr oder weniger erkennen.
Wie sie vielleicht wissen (oder auch nicht) ist es in China nicht erlaubt den Eltern das Geschlecht während einer Ultraschalluntersuchung mitzuteilen, um vermehrte Abtreibungen von weiblichen Föten zu unterbinden.
Die Ausdrucke der Ultraschallbilder sind dementsprechend so klein und grobgepixelt gehalten, dass man unmöglich erkennen kann, ob es sich bei dem Bild um einen Jungen handelt, oder es doch nur ein Pixel ist, den man misinterpretiert hat.
Aber in China gibt es immer Mittel und Wege. Und so kann man auch hier mit einem Bestechungsgeld die Schwestern dazu bewegen, einen ausserplanmässigen Ultraschall Termin einzufügen.
Allerdings geht das nur über Beziehungen. Wenn Sie nicht von jemandem weiterempfohlen wurden, traut man Ihnen nicht, schliesslich könnten Sie ja von der Regierung beauftragt worden sein um illegale Aktionen an öffentlichen Krankenhäusern aufzudecken.
Wenn es dann so weit ist, ist es ja lange noch nicht so weit. Die meisten Väter, die ihre unter Schmerzen leidende Frau schon mal ins Krankenhaus gebracht haben, werden es kennen: Man ist im Krankenhaus, alles ist bereit, aber das Kind will partout noch nicht hinaus.
Man wartet also und es zieht sich, teilweise bis in den nächsten Tag hinein.
Oder auch schon vorher, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Der Blutdruck zu hoch, das Gebärmutterwasser nicht genug oder ähnliches.
Wenn man die Frau also im Krankenhaus behält zur Beobachtung oder die Wehen künstlich eingeleitet werden müssen und man teilweise tagelang im Krankenhaus an der Seite seiner Frau wachen muss, dann darf man als Ehemann die Nacht am Bett bei ihr verbringen.
Auf einem kleinen, harten und schweren Klappstuhl, der einen enormen Radau verursacht, wenn er mit seinen offenen Metallbeinen auch nur einen Hauch über die Steinplatten kratzt, bei dem Versuch ihn ein stückweit zu bewegen.
Wahrscheinlich um dem Ehemann wenigstens ein kleines Stück weit dazu zu bringen die Leiden seiner Frau etwas bewusster wahrzunehmen.
Man kann in China diese Aufgabe aber auch ganz pragmatisch an eine Hebamme (im chinesischen als 阿姨 (ā yí) bezeichnet) outsourcen, die die Nacht am Bett der Schwangeren verbringt.
Ich habe es mir nicht nehmen lassen, mir selber die Nächte auf dem, wie ich feststellen musste, unbequemsten Stuhl der Welt um die Ohren zu schlagen.
Wir haben in der Nähe des Krankenhauses tageweise ein Appartement gebucht (das ist ganz praktisch), denn der Weg von unserer Wohnung zum Krankenhaus wäre viel zu weit gewesen um ihn täglich zu bestreiten.
Allerdings kann es auch hier wieder vorkommen, dass man nicht direkt eins bekommt und erst einmal ein Hotelzimmer buchen muss.
In unserem Fall hat die Familie meiner Frau es gebucht.
Dazu muss man wissen, dass nicht ale Hotels in China Ausländer beherbergen dürfen. Da haben wir auch wieder etwas gelernt.
Und so kam es dann dass ich, bevor ich mir die erste Nacht am Bett meiner schwangeren Frau um die Ohren schlagen konnte, erst noch das Viertel abklappern musste um ein Zimmer zu finden.
Das sind so Momente, da könnte ich dann kotzen. Und zwar über die chinesische Bürokratie. Aber es hilft ja nichts und am Ende hat ja alles gepasst.
Während der Schwangerschaft gibt es traditionellerweise viele Dinge, die die werdende Mutter nicht essen darf.
Dazu gehören unter anderem alle Dinge, die als kalt eingestuft werden.
Dabei handelt es sich aber nicht um die tatsächliche Temperatur, sondern, wie ich schon mehrfach beschrieben habe, um eine Einteilung der chinesischen Medizin nach Yin und Yang (阴阳 yīn yáng), wobei Yin (阴 yīn) kalt ist und und Yang (阳 yáng) warm.
Zu den kalten Lebensmitteln gehören unter anderem Gurken, Tomaten, Krabben und grüner Tee. Völlig egal, ob diese von der Temperatur tatsächlich kalt oder heiss sind, wenn sie zum Beispiel gekocht wurden.
Noch eine interessante Sache ist mir aufgefallen. Und zwar dass alle wichtigen Entscheidungen nicht einfach von der werdenden Mutter selber getroffen werden können, sondern der Ehemann auch jedes Mal unterschreiben muss.
Wenn zum Beispiel blutdrucksenkende Medizin verabreicht wird, oder ein Kaiserschnitt gemacht werden soll und bei jeder kleinen Pille die verabreicht wird.
Im ersten Moment denkt man: Meine Güte, das ist ja ziemlich chauvinistisch. Warum kann die Frau nicht selbst entscheiden, schliesslich hat sie die Schmerzen und nicht der Ehemann.
Wenn man dann ein wenig nachforscht, entdeckt man, dass das früher tatsächlich der Fall war. Die Frau konnte mit ihrer Unterschrift selbst bestimmen, was gemacht wird und was nicht.
Allerdings hat sich daraus ein Problem ergeben: Wenn die Frau auf Grund der vorgenommenen Eingriffe gestorben ist, konnte man zur Unterschrift keine Gegenprobe mehr veranlassen, da die Person, die unterschrieben hat, ja nicht mehr lebte.
Fortan brauchte man also nicht nur ihre, sondern auch die Unterschrift des Gatten.
Sollte dieser nicht zu gegen sein, können es auch die Eltern sein, die unterschreiben.
Glücklicherweise ist es den Schwiegereltern nicht gestattet diese Unterschrift zu leisten, da man befürchtet, diese würden sich all zu häufig nicht um die Gesundheit der Frau, sondern einzig um das Wohl des Kindes sorgen.
Kaiserschnitte werden im chinesischen Krankenhaus wie am Fliessband durchgeführt.
So bekommt man dann auch, ganz in chinesischer Tradition, direkt noch etwas Trödel dazu aufgeschwatzt.
Ich weiss nicht ob es am Schlafmangel oder an der Ungewissheit vor der Operation lag, ich habe beim bezahlen für den Kaiserschnitt (knapp 900 RMB, die man bar bezahlen muss) mir noch einen Fussabdruck des Kindes in Plexiglas aufschwatzen lassen. Das passiert mir sonst nicht so einfach, aber diesmal war ich nicht aufmerksam genug.
Wie auch immer. Wenn man als Ausländer ein Kind in einem öffentlichen, chinesischen Krankenhaus zur Welt bringt, verursacht man auf dem Korridor schnell mal einen Menschenauflauf, weil jeder mal gucken und fotografieren will (Krankenschwestern und Ärzte bilden da keine Ausnahme).
Wenn das Kind dann endlich da ist, sollten sie sich bereits Gedanken über den Namen gemacht haben.
Der oder die Kleine kann jederzeit ohne Probleme einen deutschen Pass bekommen, wenn einer der Partner Deutscher ist und die Eltern offiziell verheiratet sind (siehe Artikel Hochzeit in China. Teil 1 (der trockene Part)).
Der oder die chinesische Partner/in muss dann natürlich vorher zustimmen, ansonsten handelt es sich um eine Entführung.
In die Geburtsurkunde können sie einen chinesischen Namen oder einen deutschen bzw. englischen oder einen Namen anderer Herkunft eintragen lassen. Entweder mit chinesischen oder arabischen Zeichen.
Wenn der Nachwuchs aber irgendwann einen deutschen Pass bekommen sollte, werden die chinesischen Zeichen anhand der Pinyin Lautumschrift (拼音 pīn yīn) in einen für deutsche Behörden lesbaren Namen umgewandelt.
Einen chinesischen und einen deutschen Namen gleichzeitig kann man seinem Kind offiziell leider nicht geben.
Nach der Geburt gibt es eine weitere traditionelle Besonderheit, die zwar heute nur noch selten angewandt wird, von der man aber hin und wieder hört.
Die frische Mutter darf einen Monat lang das Zimmer nicht verlassen, sich weder duschen noch baden und kein Fenster öffnen, damit sie sich auf keinen Fall erkältet oder mit irgendetwas infiziert.
Das kommt noch aus Zeiten, in denen der Zugang zu sauberem Wasser nicht unbedingt gegeben war.
Und auch heute kann man dem Wasser aus dem Hahn nicht trauen.
Ich hatte ja bereits einmal erwähnt, dass ich es zwar zum duschen benutze, mir aber die Zähne mit gekauftem Wasser aus dem Supermarkt putze.
Aber zurück zu der Frau: In dieser Zeit wird sie in der Regel von ihren Eltern umsorgt.
Der Ehemann darf in dieser Zeit ebenfalls nicht zu ihr. Ein Glück für den Ehemann, könnte man jetzt sagen, bedenkt man, dass seine Frau einen Monat nicht duschen kann.
Es finden sich aber nur noch vereinzelt Chinesen, die dieser Tradition tatsächlich folgen. Das ist dann auch für den „Durchschnittschinesen“ etwas zu schräg.
Bleibt abschliessend nur noch zu bemerken: Derjenige der eine Geburt als eines der schönsten Ereignisse der Welt bezeichnet hat, hat definitiv eine andere Geburt erlebt, als ich.
Ich würde den Satz gerne umformulieren in etwas wie „Gott sei dank ist es endlich vorbei, wenden wir jetzt zu den schönen Dingen zu.“
Denn jetzt beginnt ein neues Kapitel. Der Anfang einer neuen, kleinen Familie.
Und so viel stimmt dann doch wieder: Wenn man seinen Nachwuchs das erste Mal sieht, schiesst einem das Adrenalin in den Körper und man kann nicht aufhören zu grinsen. (unser Kind ist übrigens das mit Abstand hübscheste von allen )