Von Lang- und Schlitzohren
In China ist der Grossteil der Bevölkerung religionslos, vor allen Dingen in den Städten. Ein Umstand, der noch auf die Kulturrevolution zurückzuführen ist und bis heute bei politisch engagierten Chinesen gerne gesehen ist.
Wer aktiv Religion ausübt, wirkt direkt suspekt und könnte auch ein politischer Gegner China’s kommunistischer Partei sein.
Besonders deutlich zeichnet sich dieses Verhalten gegenüber religiösen Gruppen aus Tibet ab.
Selbst wenn man in China’s Hauptstadt den Lama-Tempel (雍和宫 yōng hé gōng), der neben verbotener Stadt (故宮 gù gōng), Himmelstempel (天坛 tiān tán) und Sommerpalast (颐和园 yí hé yuán) eines der touristischen Hauptziele in Beijing ist, besuchen möchte, muss man seinen Pass vorzeigen. Und man merkt es auch daran, dass man im Tempel selber öfters schon mal von angeblichen Studenten angesprochen wird.
Diese Sprechen zufällig immer die Muttersprache der Besucher und das oft völlig akzentfrei. Ich habe noch keinen richtigen Studenten getroffen, der das tatsächlich konnte.
Man versucht Sie also in einen kleinen Smalltalk zu verwickeln, um abzuschätzen ob und wenn auf welcher Seite Sie stehen.
Wie gesagt, es gibt hier etliche unaufgearbeitete Themen und die Meinungen sind sehr kontrovers.
Aber ich möchte auch gar nicht weiter in diesem Thema herumstochern, das ist wieder Politik und hat in diesem Blog nichts zu suchen.
Vielmehr möchte ich ganz neutral über den Buddhismus sprechen, schliesslich macht er einen grossen Teil China’s Geschichte aus. Es ist also an der Zeit sich mal ein wenig zu informieren.
Ich habe schon viele Tempel besucht und bin über die eine oder andere Frage gestolpert. Jetzt möchte ich also meine Erfahrungen weitergeben, um mal ein paar Missverständnisse aus der Welt zu schaffen:
Der Buddhismus glaubt, im Gegensatz zu den meisten anderen Religionen, an die Wiedergeburt. Ein sehr interessanter Ansatz für eine Religion, erinnert es mich doch sehr an den physikalischen Energieerhaltungssatz.
Gemeinhin betrachtet man den Buddhismus als eine aus Indien stammende Religion und Buddha als deren Gott. Und da sind wir schon beim ersten grossen Fehler.
Buddha ist nämlich kein Gott. Der ursprüngliche Buddhismus kennt keine Götter. Diese sind in einigen Teilen der Welt später hinzugekommen. Zum Beispiel wurden viele Götter aus dem Daoismus (道家 dào jiā. Oft auch als Taoismus übersetzt) übernommen und einfach in die neue Religion implementiert. Daoismus und Buddhismus haben sich ohnehin in weiten Teilen der Welt gegenseitig beeinflusst.
Aber was ist Buddha dann ? Ganz einfach: Buddha (बुद्ध in Sanskrit, 佛 fó in Chinesisch) bedeutet der Erwachte.
Es ist ein Ehrenname, der einem Menschen gegeben wird, der die Reinheit und Vollkommenheit des Geistes erreicht hat.
Somit ist er dann auch nicht mehr im ständigen Zyklus der Wiedergeburten gefangen, sondern hat zu Lebzeiten bereits das Nirvana (निर्वाण nirvāṇa in Sanskrit) erreicht.
Und da sind wir bereits an einem interessanten Punkt angelangt. Es gibt also nicht den einen Buddha, sondern es gibt immer wieder mal einen.
Der Buddha, den man in der Regel in den Tempeln als Statue findet ist Siddhārtha Gautama (सिद्धार्थ गौतम in Sanskrit).
Er lebte von 563 v. Chr. bis 483 v. Chr. in Indien als Sohn einer hochgestellten Adelsfamilie. Er hat also ein für damalige Verhältnisse hohes Alter erreicht.
Die langen Ohrläppchen mit denen er in der Regel abgebildet wird, implizieren dass er schwere Ohrringe getragen haben muss, er also zu einer reichen Familie gehörte. Er war der Gründer des Buddhismus, wie wir ihn heute kennen.
Aber es gibt noch weitere Buddhas: Kashyapa, Kanakamuni und Dipamkara sollen die Buddhas der Vergangenheit und Maitreya (मैत्रेय in Sanskrit, 弥勒佛 mí lè fó in chinesisch) der Buddha der Zukunft sein.
So kann man in vielen Tempeln auch immer drei Buddha-Statuen nebeneinander sehen. Man sagt, dass diese die Buddhas der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft repräsentieren.
Die Zahl drei scheint im Buddhismus immer wieder vorzukommen. So gibt es zum Beispiel drei Arten Buddhas:
Der erste, der aus sich heraus die Erleuchtung gefunden hat und sie durch Lehren weitergibt (genannt Samyaksambuddha).
Der zweite, der ebenfalls aus sich heraus die Erleuchtung gefunden hat, aber nicht lehrt (genannt Pratyekabuddha).
Und der dritte, der aus Lehren heraus die Erleuchtung gefunden hat (genannt Sravakabuddha).
Es gibt die drei Zeitalter:
Im ersten steht die reine Lehre, die ein Buddha verbreitet. In diesem sind Praxis und Erleuchtung möglich (Es soll 500 bis 1000 Jahre andauern).
Das zweite ist geprägt von einer formal ähnlichen Lehre. Praxis ist zwar noch möglich, aber keine Erleuchtung mehr (Dieses soll ebenfalls 500 bis 1000 Jahre andauern).
Und im dritten steht nur noch die Doktrin, weder Praxis noch Erleuchtung sind möglich (Dieses soll 10.000 Jahre andauern und nach ihm soll selbst die Doktrin Buddhas vergessen sein)
Wenn wir also davon ausgehen, dass der letzte Buddha knapp 500 v. Chr. aufgehört hat zu lehren, befinden wir uns im dritten, absteigenden Zeitalter. Erleuchtung ist erst einmal lange Zeit nicht in Sicht.
Tut mir leid, das so drastisch sagen zu müssen.
Dann gibt es da noch die Drei-Körper-Lehre Vajrayana. Sie bezeichnet unterschiedliche Ausdrucksebenen des erleuchteten Zustands. Diese heissen Dharma-kāya, Saṃbhoga-kāya und Nirmāṇa-kāya.
Wenn man ein wenig sucht, findet man immer wieder die Zahl drei.
In buddhistischen Tempeln wird viel geopfert. Es geht von Obst und anderen Speisen über Schnaps und Räucherstäbchen bis hin zu Geld.
Ich bin mir nicht sicher, ob dieses Verhalten schon immer so war, aber heutzutage kommen viele Leute hierhin um für Glück, Geld und einen guten Job zu beten.
Dabei ist die einhellige Meinung, dass man die richtige Spende geben muss. um ein erfolgreiches Ergebnis zu erhalten.
Viele Chinesen sehen diese religiösen Dinge heutzutage sehr pragmatisch. Sie glauben nicht an Religion, aber schaden kann es ja trotzdem nicht.
Das vergleiche ich immer gerne mit den Heilig-Abend-Christen. Das ganze Jahr über meidet man die Kirche, aber zu Weihnachten geht man dann doch hin.
Es ist ein soziales Phänomen, dem man einfach folgt. Genau so verhält es sich auch in China mit den Opfergaben im Tempel.
Sie können sich sicher denken, dass hier auch die Zahlensymbolik, die in China ohnehin immer eine grosse Rolle spielt wieder zum tragen kommt.
Es gibt in den Städten, nahe der grossen Tempel ganze Strassenzüge von kleinen Geschäften in denen man nicht nur Räucherstäbchen und andere Utensilien kaufen kann, sondern sich oft auch beraten lassen kann, was man in welcher Menge für einen bestimmten Wunsch opfern muss (gegen Bezahlung versteht sich natürlich).
Chinesen werden immer als sehr geschäftstüchtig dargestellt und hier haben wir wieder ein schönes Beispiel dafür, wie man einfach mit den Wünschen anderer Leute Geld machen kann.
Manchmal sind Chinesen richtige Schlitzohren, obwohl dieser Begriff klassischerweise eigentlich nur auf Deutsche, eventuell noch auf einige andere Europäer anzuwenden ist.
Es ist nicht 100 prozentig erwiesen, aber man sagt, dass der Ausdruck sich wohl im Deutschland des 19. Jahrhundert gebildet hat:
Zukünftige Gesellen wurden, nach Abschluss ihrer Lehrzeit damals auf Wanderschaft (die sogenannte Walz) geschickt.

Sie trugen einen goldenen Ohrring mit dem Wappen ihres Handwerks, woran man einen guten Handwerker erkennen konnte.
Wenn nun einer dieser jungen Leute auf der Walz sich hat etwas zu Schulden kommen lassen, riss man ihm einfach den Ohrring ab und machte ihn zu einem Schlitzohr.
Heute steht der Ausdruck, wie wir alle wissen, für jemanden der versucht andere Leute zu übervorteilen. So viel zu diesem kleinen Exkurs.
Wie auch immer man sich dem Buddhismus nähert, es gibt immer wieder interessante Dinge zu entdecken und die vielen Tempel, die teilweise ganz versteckt inmitten des Grossstadtdjungels verborgen liegen haben alle eine lange Geschichte zu erzählen.
Man sollte viel öfter mal raus gehen und diese kleinen Oasen inmitten des täglichen Trubels aufsuchen.